Pater Reinhold, Pater Deogratias: Was macht einen guten Missionar aus?

Deogratias: Er muss frei sein, überall hinzugehen. Und er braucht Offenheit, um mit verschiedenen Kulturen und Mentalitäten in Kontakt zu kommen.

Reinhold: Einer unserer Mitbrüder antwortete auf diese Frage einmal scherzhaft: Humor, Gottvertrauen und einen Saumagen! (beide lachen) Offenheit ist auch für mich wichtig. In Ecuador bin ich mit zwei ganz unterschiedlichen Volksgruppen in Kontakt gekommen: mit Afroamerikanern, den Nachfahren der ehemaligen Sklaven, und mit den Chachi, einem kleinen Indio-Volk. Deren Vorstellung von Gott und von den Heiligen war oft nicht deckungsgleich mit meiner. Aber ich habe sie und ihre Frömmigkeit respektiert.

Und wenn es kulturelle Spannungen gibt?

Reinhold: In der Gemeinschaft der Afroamerikaner sind die Mädchen damals früh verheiratet worden, mit 14, 15 Jahren. Wir Missionare haben gesagt: „Das ist ihre Tradition und ihre Art und Weise zu leben.“ Wir haben es so akzeptiert.

Deogratias: Mir gefällt, dass ihr die Tradition und Würde der Menschen so ernst genommen habt. Aber es gibt Bereiche, die für mich eine No-Go-Zone sind. Wenn jemand sagt: „Ich bin homosexuell, ich brauche einen Segen“, dann sage ich: „Ja, warum nicht? Gott segne dich!“ Aber ich würde kein homosexuelles Paar segnen. Eine solche Beziehung ist keine Ehe. Reinhold: Ich hätte auch Schwierigkeiten, eine große Hochzeit mit zwei Gleichgeschlechtlichen zu feiern. Aber der Bitte nach einem Segen der Beziehung würde ich ohne Weiteres nachkommen.

Mit welcher Motivation sind Sie Missionar geworden?

Reinhold: Ganz am Anfang war meine Überzeugung: So viele Menschen und Seelen gehen verloren, wenn ich nicht als Missionar tätig werde und sie zu Gott führe.

Deogratias: Und heute?

Reinhold: Sehe ich das ganz anders. Wenn ich in einem evangelischen Haus aufgewachsen wäre, wäre ich heute evangelisch. Wäre ich in eine muslimische Familie hinein geboren, wäre ich wahrscheinlich Moslem. Ich glaube, der liebe Gott macht da keinen Unterschied. Ein junger Mann, der im Sterben lag und nach seinem Glauben gefragt wurde, sagte einmal: „Ich bin bloß neugierig auf das, was kommt.“ Mit dieser Aussage kann ich mich identifizieren.

Deogratias: Diese Position finde ich schwierig. Für mich spielt der katholische Glaube eine zentrale Rolle. Ihn möchte ich bezeugen. Natürlich will ich niemandem etwas aufzwingen, aber wenn wir miteinander reden, soll jemand erleben, wofür ich stehe. Reinhold: Bei mir ist die Grenze da erreicht, wo jemand versucht, Menschen mit Religion Angst zu machen. Wo vom Höllenfeuer gepredigt wird und man den Menschen sagen will, was richtig und falsch ist. Gegen solche Ansätze habe ich mich immer gewehrt!

Pater Deogratias, was erleben Sie als junger afrikanischer Missionar in Deutschland?

Deogratias: Deutschland ist Missionsland. Aber hier als Missionar zu sein ist anders als früher, als die Missionare von Europa nach Afrika, Asien und Südamerika unterwegs waren. Es gibt viele Herausforderungen.

Zum Beispiel?

Deogratias: Die Menschen hier stellen alles in Frage. Auch beim Glauben. In meiner Heimat Uganda, wo viele Leute nicht oder nur kurz die Schule besuchen, kommen sie gern, wenn die Kirche Angebote macht. Was der Priester sagt, ist göttlich. In Deutschland reden wir viel über Missbrauch in der Kirche, strukturelle Fragen, Hierarchie, Macht und Kirchensteuer. Manche schieben das vor, wenn sie die Kirche verlassen. Für mich sind das aber keine Gründe, um zu sagen: „Ich brauche die Kirche nicht.“ Zentral ist doch der eigene Glaube.

Reinhold: Damit hatten die Menschen in Ecuador kein Problem. Sie hatten solch ein Gottvertrauen – dagegen war ich ein Waisenknabe. Trotzdem habe ich meine Aufgabe als Missionar darin gesehen, sie in ihrem Glauben zu bestärken.

Deogratias: Wenn ich mit meiner afrikanischen Begeisterung hier frei mit erhobenen Armen predigen würde: Das ginge nicht. Die Menschen in Deutschland sind das nicht gewöhnt. Also passe ich mich an. Ich habe gelernt: Für den Erfolg meiner Arbeit ist vor allem die Sprache wichtig. Rassismus gibt es, wenn man nicht gut miteinander kommunizieren kann. In Deutschland bin ich bisher überall willkommen geheißen worden.

Gibt es Episoden in Ihrem Misisonarsleben, auf die Sie kritisch zurückblicken?

Reinhold: Ich habe mein Noviziat und die ersten Studienjahre total angepasst gelebt. Später war ich Erzieher in einem Internat. Ich sehe es heute sehr kritisch, in welch abgeschlossenem Raum wir damals gelebt habten. Wir hatten zum Beispiel keinerlei Erfahrung damit, wie man mit Mädchen und Frauen umgeht. Die 1968er-Jahre haben mich dann verändert. Es war ein Glücksfall für mich, dass ich nach Ecuador gekommen bin.

Deogratias: Inwiefern?

Reinhold: Ich bin dort mit der Theologie der Befreiung in Berührung gekommen und habe gelernt: Armut ist nicht einfach eine Folge von Schicksal, von Vernachlässigung. Sie ist vor allem eine Folge von ungerechten Wirtschaftsstrukturen. Sünde gibt es nicht nur als individuelle Sünde, sondern es gibt auch sündhafte Strukturen und Ordnungen.

Was folgte daraus?

Reinhold: Mein soziales und politisches Engagement. Jesus wollte eine andere Gesellschaft. Wenn er vom Reich Gottes spricht, ist damit nicht die Kirche als Institution gemeint, sondern ein Zusammenleben nach den Prinzipien von Gerechtigkeit, Frieden und Liebe. Ist unser so genanntes westliches Lebensmodell wirklich das richtige? Wir sollten ein bisschen demütiger sein und unsere Sicht der Dinge nicht als die allein seligmachende verstehen.

Deogratias: Missionar-Sein bedeutet für mich zuallerst eine Sendung! Meine Hauptaufgabe ist die Verkündigung des Evangeliums.

Hat Mission noch eine Zukunft?

Reinhold: Die Aufgabe der Missionsgemeinschaften ist es, die weltkirchliche Dimension der Kirche zu vertreten. Wenn irgendjemand aufgerufen ist, sich für Geflüchtete zu engagieren, dann wir.

Deogratias:  Ja, Mission hat Zukunft. Ich frage mich oft, wie man Glauben oder Kirche interessanter machen könnte.

Reinhold: Hast Du eine Antwort gefunden?

Deogratias: Nein! Ich werde einfach da bleiben. Wenn ich da bin, gebe ich Zeugnis von meinem Glauben. Sich dem Zeitgeist anzupassen ist sicher nicht der richtige Weg. Da geht man schnell verloren.

 

Moderation: Eva-Maria Werner