Text: Bettina Tiburzy, Fotos: Hartmut Schwarzbach

Von Weitem sieht es aus, als stünde der kleinen Palmenwald direkt auf der Wasseroberfläche. Der Skipper hält direkt darauf zu. Dann drosselt er den Außenbordmotor und steuert ins Innere des Atolls. Das Wasser ist nur wenige Meter tief. Weißer Sand, Korallen auf dem Meeresboden: eigentlich ein Paradies. Doch bei Sturmflut verwandelt es sich in einen Albtraum. Dann rollen die Wellen über die Inseln. Die Familien befestigen Netze zwischen den Kokospalmen und setzen ihre kleinen Kinder hinein, damit sie nicht ertrinken.

„Besonders in der Weihnachtszeit sind die Carteret-Inseln mit extremen Sturmfluten, starken Winden, steigendem Meeresspiegel konfrontiert“, erklärt Ursula Rakova. Sie ist die Sprecherin der Inselgemeinschaften und auf einer der Inseln geboren. Mit einer Gruppe Jugendlicher ist sie morgens aus dem 86 Kilometer entfernten Bougainville zu den Caterets aufgebrochen, die sie hier auch „Tulun“ nennen: „die Menschen vom großen Meer“. Starke Strömungen, Wind und hohe Wellen machen die vierstündige Fahrt mit einem kleinen Boot über offene See zu einer lebensgefährlichen Reise. Doch einen anderen Weg gib es nicht.

Als das Boot die Hauptinsel Han ansteuert, wartet eine Gruppe aufgeregter Kinder am Strand. Für sie sind die Neuankömmlinge der Höhepunkt des Tages. Rakova lässt die

Jugendlichen das Boot entladen – hauptsächlich Säcke mit Mangrovensetzlingen und für die Inselbewohner eine wertvolle Fracht. Die Bäume sollen verhindern, dass die Küsten weiter so schnell wie bisher erodieren. In den nächsten Tagen will Rakova sie mit den jungen Leuten pflanzen.

Die 59-Jährige genießt in ihrer Gemeinschaft großes Ansehen. Wenn sie spricht, hören alle zu: keine Selbstverständlichkeit in einer patriarchalen Kultur, in der Frauen von Entscheidungen weitgehend ausgeschlossen sind. Auch der Umstand, dass Frauen das Land hier besitzen, ändert daran nicht viel. Wie in fast allen Regionen der Autonomen Republik Bougainville wird es auf den Carterets über die matrilineare, mütterliche Linie an die älteste Tochter vererbt. Auch Rakova gehört eine der Inseln.

Lange Zeit lebte sie fern ihrer Heimat. Mit elf Jahren verließ sie das Atoll, um eine weiterführende Schule zu besuchen. Danach studierte

Rakova Sozialarbeit in Papua-Neuguineas Hauptstadt Port Moresby und arbeitete bei verschiedenen Nichtregierungsorganisationen in den Bereichen Menschenrechte und Umweltschutz. „Ich habe die Caterets nur selten besucht“, erzählt sie.

Doch dann bekam sie 2005 Besuch von Mitgliedern des Ältestenrats der Carteret-Inseln. Rakova kannte die Berichte über hungernde Menschen in ihrer Heimat. Der steigende Meeresspiegel hatte Nutzpflanzen wie Bananen, Taro und Brotfruchtbäume geschädigt, von denen sie sich ernähren. Trinkwasser war knapp, und die staatliche Lebensmittelhilfe traf nur unregelmäßig ein.

Zwar gab es bereits in den 1980er-Jahren Regierungspläne zur Umsiedlung der gefährdeten Bewohner auf die Hauptinsel Bougainville. Doch mit dem Ausbruch des Bürgerkrieges 1988 verliefen sie im Sand. Den Ältesten war klar: Sie waren auf sich gestellt.

„Sie baten mich, den Inselgemeinschaften zu helfen, ihr Leben möglichst unabhängig und eigenständig weiterzuleben“, erzählt Rakova.

Den Ältesten war klar: Sie brauchten sichere Orte, um die Familien umzusiedeln. Und sie brauchten jemanden, der andere überzeugen konnte, ihr Vorhaben zu unterstützen. Keine leichte Aufgabe, denn Land auf den beiden großen Inseln Bougainville und Buka ist knapp. Und neue Siedler sind den Bewohnern alles andere als willkommen.

Zuerst lehnte Rakova ab. Sie konnte sich nicht vorstellen, ihr altes Leben aufzugeben. Doch der Ältestenrat kannte Rakovas Arbeit für Hilfsorganisationen. „Sie sagten zu mir: ‚Dein ganzes Leben hilfst du anderen. Jetzt musst du uns helfen.‘ Das war der Wendepunkt in meinem Leben.“ 2006 kündigte sie ihre Stelle. Ein Jahr später gründeten die Gemeinschaften der Carterets „Tulele Peisa“, was so viel bedeutet wie „Wir segeln allein auf den Wellen“. Rakova übernahm die Leitung.

Mangroven gegen die Erosion

Sanft brandet das Meerwasser an den Strand, umfließt das Wurzelwerk abgestorbener Palmen. Die Jugendlichen kramen in ihren Säcken, die sie aus Bougainville mitgebracht haben. Jeweils drei Setzlinge stecken sie im Abstand von einem Meter in den Boden. Um das Eindringen des Salzwassers zu verlangsamen, pflanzen die jungen Leute Mangroven, die die Flut brechen und das Land stabilisieren.

Rakova watet durch das Wasser. Sie inspiziert einen der vor den jungen Mangroven angelegten kleinen Schutzdämme aus Schell­muscheln. Die Pflanzer haben sie hier überall errichtet. Doch das Wasser findet immer einen Weg vorbei an den großen, ausgewachsenen Mangroven, die sie hier vor Jahren gesetzt haben. Es frisst sich immer weiter in die Insel hinein.

Aber aufgeben will hier niemand. Rakova hat Workshops organisiert, um die Jugendlichen zu „Mangroven Rangern“ auszubilden und sie für den Schutz ihrer Heimat zu sensibilisieren. Heute fällt auf den Inseln keiner mehr einen Mangrovenbaum. „Wir haben mehr als 18000 Mangrovensetzlinge gepflanzt. Und wir wollen die Zahl noch verdoppeln“, erklärt die Klimaaktivistin. Sie weiß, die Mangroven werden das Versinken der Inseln nicht aufhalten, aber sie können den Prozess verlangsamen.

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