Text: Eva-Maria Werner, Illustrationen: WWS

In Mekka sind während der Pilgerfahrt Hadsch im Juni 2024 mehrere hundert Gläubige an den Folgen der Hitze gestorben. Im Sommer 2003 töteten die Extremtemperaturen in Europa mehr als 70000 Menschen. Zu den Opfern der Hitze in den Ländern südlich der Sahara gibt es gar keine Daten. Die meisten Forscher sind sich einig, dass der Klimwandel Extremwetterereignisse wie Hitze oder Starkregen begünstigt: Sie treten häufiger auf und sind intensiver. Ob jemand eine Hitzewelle aber nur als lästig empfindet oder sie für ihn tödlich endet, hängt von vielen Faktoren ab: Ist die Person jung oder alt? Ein Mann oder eine Frau? Reich oder arm? Hat sie Zugang zu Gesundheitsversorgung und Frühwarnsystemen? Lebt sie im globalen Norden oder Süden? Für die Physikerin und Philosophin Friederike Otto, die am Imperial College London forscht, ist klar: Die Klimakrise ist vor allem eine Gerechtigkeitskrise. In ihrem Buch „KlimaUNgerechtigkeit“ zeigt sie, dass die Menschen im globalen Süden, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, am meisten darunter leiden.

Besonders gefährdet: Frauen

Otto und ihr Team haben etwa im westafrikanischen Gambia untersucht, welche Auswirkungen Hitze auf Menschen hat. Das Ergebnis: Frauen leiden stärker als Männer. Denn aufgrund der traditionellen Rollenverteilung sind sie für die Ernährung der Familie verantwortlich. Sie müssen auf dem Feld arbeiten, egal wie heiß es ist – auch wenn sie schwanger sind. Dort jedoch sind sie der Hitze schutzlos ausgeliefert. Das ist nur ein Beispiel für die sozialen Folgen des Klimawandels. Weltweit erleben Menschen die Auswirkungen von Hitze, Stürmen und Überschwemmungen sehr unterschiedlich: Sie verlieren ihr Hab und Gut, ihre Lebensgrundlage, ihre Arbeit, ihre Gesundheit, wichtige Kulturgüter. Ungleichheit und Unruhen nehmen zu, bis hin zu bewaffneten Konflikten. Ein fairer Umgang miteinander könnte viele Probleme lösen. Friederike Otto ist überzeugt: „Mehr Gleichberechtigung macht Gesellschaften widerstandsfähiger im Klimawandel.“

Dimensionen der Gerechtigkeit

Wie aber kommt man zu mehr Gerechtigkeit? Der Deutsche Ethikrat nennt in seiner jüngsten Stellungnahme drei Dimen- sionen, die berücksichtigt werden sollten: innergesellschaftliche, internationale und intergenerationelle Gerechtigkeit. Er kommt zu dem Schluss, dass sozial Benachteiligte, Menschen im globalen Süden und Angehörige jüngerer und zukünftiger Generationen besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen sind und unterstützt werden müssen. Etwa, indem finanziell schlechter Gestellte beim Einbau einer klimaschonenden Heizung gefördert werden, Menschen im globalen Süden Mittel zur Stabilisierung ihrer Küsten erhalten oder sich die jetzt lebenden Generationen verpflichten, die Treibhausgasemissionen zu senken – wie es das Pariser Klimaabkommen von 2015 vorsieht. Jeder kann durch seine Konsumentscheidungen dazu beitragen, dass sein persönlicher CO2-Abdruck kleiner wird. Das reicht aber bei Weitem nicht, um die Erderwärmung auf ein sozial verträgliches Maß zu reduzieren. Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, sieht vor allem die Staaten in der Pflicht. „Wer sich jetzt im Klimaschutz engagiert, investiert in die Zukunft. Wer es nicht tut, nimmt in Kauf, dass die Wirtschaftsleistung weltweit aufgrund der Folgen des Klimwandels um 20 Prozent einbrechen könnte“, sagt er. Das wiederum würde eine hohe Arbeitslosigkeit nach sich ziehen. Wer aber soll zahlen für Maßnahmen zur Reduzierung von Emissionen (Mitigation), zur Anpassung an den Klimawandel (Adaptation), für Schäden und irreversible Verluste? Für die Entwicklung neuer Technologien, die Klimagase aus der Luft saugen? Die Staaten des globalen Südens fordern: Die Länder, die bisher am meisten zum weltweiten CO2-Ausstoß beigetragen haben. Deutschlands Bilanz schlägt mit 94 Milliarden Tonnen CO2 (5,3 Prozent) seit Beginn der Industrialisierung zu Buche. Auf der Klimakonferenz in Ägypten 2022 haben die reichen Länder 661 Millionen US-Dollar für einen Entschädigungsfonds zugesagt. Allerdings ist davon bisher noch nichts ausgezahlt worden. Gerecht wäre, dass Staaten, die klimapolitisch eine „historische Schuld“ tragen und Anpassungsmaßnahmen finanzieren können, ihren Beitrag leisten. Notwendig ist auch, dass Menschen im globalen Süden, die am meisten unter dem Klimawandel leiden, stärker einbezogen werden – auf allen Ebenen. Doch der Weltklimarat besteht noch immer überwiegend aus Vertretern reicher Industrienationen. Dabei sind viele Länder im globalen Süden kreativ darin, die Folgen des Klimwandels abzumildern (vgl. S. 20/21). In Kenia etwa besinnen sich Landwirte auf traditionelle Pflanzen wie das von den Kolonialherren abschätzig als „Schweine-Weizen“ bezeichnete Amaranth, das sich aber als gesünder und robuster erwiesen hat als importierte Getreidearten. Hier führt die Abkehr von kolonialen Denkmustern direkt dazu, besser gewappnet zu sein für die Folgen des Klimawandels.

Eine neue Weltsicht

Mehr lernen von denen, die schon vieles richtig machen, das fordert der britische Anthropologe Jason Hickel. Beispielhaft nennt er Völker wie die Achuar in Südamerika oder die Chewong auf der Malaiischen Halbinsel. Sie sind nicht von kolonialen und kapitalistischen Denkmustern geprägt, entnehmen der Natur nur so viel, wie sie brauchen. Ihr Weltbild basiert auf Austausch, nicht auf Ausbeutung. Eine Orientierung an ihnen wäre lohnenswert, meint Hickel. Denn, wie er sagt: „Wir haben alles zu verlieren und eine Welt zu gewinnen.“

 

 

 

Schon gewusst?

Jeder Einwohner in Deutschland ist pro Jahr für den Ausstoß von etwa elf Tonnen Treibhausgasen verantwortlich, der weltweite Mittelwert liegt bei rund vier Tonnen. Mit dem CO2-Rechner des Umweltbundesamts kann jeder seinen persönlichen CO2-Fußabdruck ermitteln.